Otoakustische Emissionen

Otoakustische Emissionen sind von der Cochlea generierte Signale, die entweder in Abwesenheit von akustischer Stimulation (Spontane Emissionen) oder als Antwort auf akustische Anregung (akustisch-evozierte Emissionen) oder elektrische Anregung (elektrisch-evozierte Emissionen) entstehen. Sie sind ein Nebenprodukt der elektromechanischen Aktivität der äußeren Haarzellen. Die Untersuchung mittels akustisch evozierten otoakustischen Emissionen stellt eine objektive Indikation dar, ob der cochleäre Verstärker normal funktioniert. Dies ist insbesondere für das Neugeborenenscreening zur Feststellung des Hörvermögens von Bedeutung. Die Mechanismen, die Emissionen erzeugen, sind noch nicht vollständig erfasst, sodass optimale Stimulusmuster noch nicht zur Verfügung stehen. Gegenstand dieses Projektes ist die Lösung dieser Probleme.

Es ist bekannt, dass Emissionen als Antwort auf eine akustische Stimulation mit zwei Tönen der Frequenzen f1 und f2 Distorsionskomponenten enthalten, sogenannte Distorsionsprodukte otoakustischer Emissionen (DPOAE). Das DPOAE mit der größten Amplitude befindet sich an der Frequenz 2f1-f2 und entsteht an zwei verschiedenen Stellen in der Cochlea: 1) Die erste Komponente, die als Primärkomponente bezeichnet wird, entsteht in der Nähe der tonotopischen Stelle des f2-Tones infolge der Antwort der nichtlinearen mechanoelektrischen Wandler in den Stereozilien der äußeren Haarzellen auf die beiden Anregungstöne. 2) Die zweite Komponente, die als Sekundärkomponente bezeichnet wird, wird am Ort der Distorsionsproduktfrequenz, 2f1-f2, durch einen als lineare kohärente Reflektion bezeichneten Prozess erzeugt. Beide Komponenten werden zum Eingang der Cochlea rückübertragen. Die zwei Komponenten können miteinander interferieren - destruktiv oder konstruktiv - was zu einem gestörten Signal am Eingang der Cochlea und demzufolge im Mittelohr und dem äußeren Gehörgang führt (Turcanu et al., 2009; Dalhoff et al., 2013).

Wir entwickeln Techniken um diesen Störeinfluss im erfassten Signal zu reduzieren. Diese Verfahren beruhen auf der Extraktion der Primärkomponente, sodass kaum Anhaltspunkte von Interferenz im verarbeiteten Signal nachzuweisen sind. Die Techniken benutzen einen kontinuierlichen f1-Ton, während der f2-Ton gepulst wird. Die erste Methode, die wir als Onset-Decomposition bezeichnen (Vetesnik et al., 2009), tastet die Reizantwort während ihrer Anfangsphase ab, d.h. an einem Zeitpunkt bevor die Sekundärkomponente beginnt zu interferieren. Wir konnten feststellen, dass diese Technik für akustische Stimulation eine Hörschwellenschätzung mit einer Standardabweichung von nur 4 dB ermöglicht im Vergleich zu 12 dB bei konventionellen Methoden mit zwei kontinuierlichen Tönen. Allerdings hat diese Technik zwei Nachteile: 1) die relative Latenz der zwei Quellkomponenten sollte im Voraus ermittelt werden, und 2) die Zunahme der Genauigkeit wurde auf Kosten der Messzeit erreicht. Um diese zwei Probleme zu vermeiden entwickelten wir ein zweites Verfahren, dass die Reizantwort in Puls-Basis-Funktionen zerlegt (Zelle et al., 2013) und es dadurch mit Hilfe des f2-Pulses erlaubt, die gesamte Signalspur anstelle nur eines einzelnen Abtastzeitpunktes zu nutzen. Diese Technik ermöglicht die Extraktion beider Quellkomponenten und führt zu Hörschwellenschätzung mit gleicher Genauigkeit wie das Onset-Decomposition Verfahren, jedoch mit einer Reduzierung der Messzeit von mindestens 80%. Zurzeit entwickeln wir diese Methoden weiter.

 

 

Mathematische Modellierung

Die aus den Experimenten gewonnenen Informationen werden in Modelle der Schallverarbeitung in der Cochlea eingebaut, um die Funktion zu verstehen und um neue diagnostische Methoden zu entwickeln.

Ein Modell des Corti’schen Organs wird zur Zeit zusammen mit Prof. Charles Steele entwickelt. Dieses Modell liefert eine mechanische Impedanz, die mit den gemessenen Werten konsistent ist (Scherer und Gummer, 2004a). Umgekehrt erklärt das Modell die experimentelle Beobachtung, dass die Impedanz rein viskoelastisch, d.h. ohne Inertialkomponente, ist. Dieses Teilmodell wird dann in ein Gesamtmodell der cochleären Funktion eingebaut.

Modelle des Corti‘schen Organs benötigen genaue Modelle der cochleären Komponenten. Zu diesem Zweck haben wir, zusammen mit Mario Fleischer und Rolf Schmidt, ein Modell der Nachgiebigkeitseigenschaften der Basilarmembran entwickelt, das auf ihren anatomischen und materiellen Eigenschaften basiert (Fleischer et al., 2010). Dieses Model prognostiziert die tonotopischen Eigenschaften der Basilarmembran; insbesondere, dass bei der Betrachtung von neuralen Daten zwei exponentielle Abbildungskonstanten vorliegen: eine für die niederfrequente (< 1 kHz) apikale Region der Cochlea und eine kleinere für die mehr basal gelegene Region. Modelle, die auf den anatomischen und materiellen Eigenschaften der zellulären Strukturen in der Cochlea beruhen sind in Entwicklung.

Um leistungsfähige Erregungs- und Analysetechniken für die Anwendung von otoakustischen Emissionen in der klinischen Diagnose zu entwickeln (Preyer et al., 2001), entwickeln wir in Zusammenarbeit mit Ales Vetesnik physikalisch begründete Modelle für die Entstehung und Ausbreitung von otoakustischen Emissionen. Wir haben gezeigt, dass aktuelle experimentelle Anhaltspunkte die theoretische Hypothese untermauern, dass Emissionen eher durch transversale Druckunterschiede über die cochleäre Partition zum Eingang der Cochlea zurückübermittelt werden als durch longitudinale Druckwellen (Vetesnik und Gummer, 2012).

 

 

Aktive Mittelohrimplantate

Aktive Mittelohrimplantate (active middle-ear implants, AMEI) sind Implantate, die, ähnlich konventioneller Hörgeräte, ein akustisches Eingangssignal aufnehmen und es mit einer geeigneten Verstärkung an das Mittelohr übertragen, um einen entsprechenden Hörverlust auszugleichen. Im Gegensatz zu ihren konventionellen Pendants wandeln AMEI das Eingangssignal in mechanische Vibrationen um, die direkt in die Gehörknöchelchenkette oder an das runde Fenster eingekoppelt werden. Demzufolge muss der Aktor in das Mittelohr implantiert werden, wohingegen sich Signalerfassung und -verarbeitung sowie die Batterie hinter der Ohrmuschel oder teilweise im Mastoid befinden. AMEI sind besonders wichtig in der Rehabilitation von Patienten mit chronischen Komplikationen des Ohrkanals oder Mittelohrs, bei denen konventionelle Hörgeräte keine zufriedenstellenden Ergebnisse erzielen können. Obwohl AMEI grundsätzlich gute Ergebnisse erreichen, sind noch einige Probleme vorhanden. Wir untersuchen Möglichkeiten, um die Leistungsfähigkeit und Zuverlässigkeit von AMEI zu verbessern.

1. Optimierung der Vibrant Soundbridge (VSB; Med-EL, Innsbruck). Für die beiden Orte, an denen die VSB meist implantiert wird - der lange Fortsatz des Amboss und die Rundfensternische -, ist der postoperativ festgestellte Kopplungswirkungsgrad unbeständig. In Zusammenarbeit mit Sebastian Schraven und Robert Mlynski untersuchen wir in Experimenten mit menschlichen Felsenbeinen (Schraven et al., 2013) verschiedene Methoden, um die Befestigung der VSB an der Gehörknöchelchenkette zu verbessern.

2. Entwicklung eines Rundfensterimplantats. Seit einigen Jahren wird die VSB in die Rundfensternische implantiert. Diese Technik ermöglicht eine Behandlung in Fällen von kombiniertem Mittel- und Innenohrhörverlust. Da der Durchmesser der VSB zu groß für die direkte Anbringung in der Rundfensternische ist, muss die Lücke zwischen dem Aktor und der Membran des runden Fensters mit Zwischenmaterial, wie zum Beispiel Bindegewebe, gefüllt werden. Wir haben den Kopplungswirkungsgrad verschiedener Methoden zur Kopplung mechanischer Vibrationen an die Membran untersucht (Schraven et al., 2011; Schraven et al., 2012). Zu einem optimalen Wirkungsgrad führt die direkte Ankopplung ohne Zwischenmaterialen. In Kooperation mit dem Fraunhofer IPA, Stuttgart, und dem NMI, Reutlingen, sowie Industriepartnern haben wir einen Aktor entwickelt, der in die Rundfensternische passt und somit direkten Kontakt zur Membran ermöglicht (Goll et al., 2013). Für dieses Implantat entwickelten wir zusätzlich ein System für optische Signal- und Energieübertragung durch das Trommelfell (siehe Film).

 

 

nach oben

 

     

 

 

 

   

 

 
 

 

   

3-D Darstellung eines hydrodynamischen Cochleamodels

   

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Optische Signal- und Energieübertragung für ein Rundfensterimplantat